
Ende Januar 2024 wurde die neue S2K-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum (UCV) veröffentlicht, die von der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie federführend entwickelt wurde. Diese Leitlinie gibt wichtige Richtlinien zur optimalen Versorgung von Patient*innen mit venösen Beinulzera vor, die uns im Wundmanagement unterstützen sollen.
Hintergrund und Prävalenz
In Deutschland sind etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung von einem floriden UCV betroffen, wobei die Prävalenz mit steigendem Alter deutlich zunimmt. In der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen liegt sie beispielsweise bei 2,7 Prozent. Besonders besorgniserregend ist die hohe Rezidivrate: Bis zu 70 Prozent der Patient*innen erleiden innerhalb von sechs Monaten nach der Abheilung ein erneutes Geschwür.
Hohe Versorgungskosten und persönliche Belastung
Die Versorgung eines Menschen mit UCV kostet in Deutschland durchschnittlich 9500 Euro pro Jahr. Diese Kosten umfassen unter anderem Medikamente, Verbandmittel, Personalaufwand und Transport. Hinzu kommen jährlich über 600 Euro, die direkt von den Betroffenen getragen werden müssen, z. B. für Transport und Eigenanteile. Neben den finanziellen Kosten leidet die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, unangenehmer Wundgeruch, Schlafstörungen und soziale Isolation gehören zu den häufigsten Herausforderungen.
Ganzheitlicher Behandlungsansatz
Die neue Leitlinie hebt hervor, dass das Krankheitsbild ganzheitlich betrachtet werden muss. Neben der rein medizinischen Behandlung ist es ebenso wichtig, psychosoziale Belastungen zu erfassen und entsprechende Interventionen einzuleiten, um die Lebensqualität der Patient*innen zu verbessern.
Schwerpunkte der Leitlinie
Die Leitlinie deckt verschiedene relevante Bereiche ab, darunter:
- Risikofaktoren und Komorbiditäten und deren Einfluss auf diagnostische und therapeutische Entscheidungen.
- Diagnostik und Therapiemethoden, sowohl lokal als auch invasiv.
- Edukation der Patient*innen, Rezidivprophylaxe und Prävention.
- Unterstützung der Betroffenen bei der Bewältigung von alltäglichen Herausforderungen
Zielgruppe der neuen Leitlinie
Die neue S2K-Leitlinie richtet sich an ein breites Spektrum von Fachkräften im Gesundheitswesen, die in die Behandlung und Versorgung von Menschen mit Ulcus cruris venosum (UCV) involviert sind. Zu den primären Zielgruppen zählen Ärztinnen und Ärzte, die sowohl ambulant als auch stationär in den Bereichen Phlebologie, Lymphologie, Allgemeinmedizin, Angiologie, Chirurgie, Gefäßchirurgie und Dermatologie tätig sind.
Auch Pflegefachpersonen, die direkt an der Versorgung von Patientinnen mit UCV beteiligt sind, profitieren von den Leitlinienempfehlungen. Darüber hinaus wendet sich die Leitlinie an Internistinnen und weitere Berufsgruppen, die Menschen mit UCV im Rahmen ihrer täglichen Arbeit beraten, betreuen oder therapieren.
Umfassende Klassifikation des Ulcus cruris venosum (UCV)
Das Ulcus cruris venosum (UCV) ist eine chronische Wunde, die als schwerste Form einer chronischen venösen Insuffizienz (CVI) gilt. Bei der neuen Leitlinie wird die CEAP-Klassifikation verwendet, um den Verlauf und das Stadium der Erkrankung einzuordnen. Diese Klassifikation basiert auf vier grundlegenden Faktoren:
- C steht für den klinischen Zustand (Clinical Condition).
- E beschreibt die Ätiologie, also die Ursachen und Hintergründe der Erkrankung (Etiology).
- A bezieht sich auf die anatomische Lage der Erkrankung (Anatomy).
- P erfasst die pathophysiologischen Prozesse, die die Erkrankung beeinflussen (Pathophysiology).
Die CEAP-Klassifikation ist ein bewährtes Schema, das weltweit eingesetzt wird, um venöse Erkrankungen systematisch zu kategorisieren. Dabei gilt ein florides (aktives) UCV als Stadium C6 und ein abgeheiltes UCV wird als C5 klassifiziert. Diese Unterscheidung ist wichtig, um den Schweregrad der Erkrankung und den Behandlungsbedarf präzise einschätzen zu können.
Die neue Leitlinie legt besonderen Wert darauf, dass die klinische Klassifikation („C“) weiterhin verwendet wird, da sie für die Erfassung sicht- und tastbarer Hautveränderungen bei CVI von Bedeutung ist. Zusätzlich empfiehlt die Leitlinie, die erweiterten Klassifikationen „EAP“ zur detaillierten Einstufung hinzuzuziehen. Dabei gibt es jedoch eine wichtige Änderung für den deutschsprachigen Raum: Die bisher gängige Widmer-Klassifikation soll in Zukunft nicht mehr verwendet werden.
Dies bedeutet, dass die detaillierte Einordnung von venösen Ulzera in Zukunft hauptsächlich anhand der CEAP-Klassifikation erfolgt. Diese systematische Einordnung stellt sicher, dass eine präzise Diagnose und ein individuell abgestimmter Behandlungsplan erstellt werden können.
Wesentliche Merkmale des Ulcus cruris venosum (UCV)
Ein florides UCV zeichnet sich nicht nur durch seine Lokalisation und äußeren Erscheinungsmerkmale aus, sondern auch durch die damit verbundenen Beschwerden und Herausforderungen im Alltag der Patient*innen. Ein detaillierter Steckbrief der Erkrankung sieht wie folgt aus:
- Typische Lokalisationen (Prädilektionsstellen): UCV tritt bevorzugt in der Innenknöchelregion auf, kann aber auch den gesamten Unterschenkel umfassen. Seltener findet man es an der Außenknöchelregion.
- Ulkus-Rand: Die Wundränder eines UCV sind oft unscharf begrenzt, was eine klare Abgrenzung von der umgebenden Haut erschwert.
- Umgebende Haut: Charakteristische Veränderungen der Haut rund um das Ulcus umfassen Verfärbungen wie Purpura jaune d’ocre (gelbliche Verfärbung), Stauungsdermatitis (Entzündungen durch gestauten Blutfluss) und Atrophie blanche (weiße, narbige Hautstellen). Diese Veränderungen sind typische Anzeichen einer venösen Insuffizienz und verschlechtern die allgemeine Hautqualität.
- Schmerzen: Die Schmerzen bei einem UCV sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Manche Patient*innen berichten nur über leichte Beschwerden, während andere über starke, oft schwer erträgliche Schmerzen klagen. Diese Schmerzen können auch zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen.
- Verlauf: Der Krankheitsverlauf ist in der Regel langsam. Eine klinische Besserung kann jedoch durch eine sorgfältige und konsequente Kompressionstherapie in Kombination mit einer gezielten lokalen Wundtherapie erreicht werden. Diese Therapieansätze zielen darauf ab, die Durchblutung zu verbessern, den Wundheilungsprozess zu unterstützen und Rezidive zu vermeiden.
Weitere Aspekte: Lymphödem als begleitende Herausforderung
Die Leitlinie weist zudem auf die Notwendigkeit hin, bei Patient*innen mit UCV ein potenzielles Lymphödem im Blick zu behalten. Ein Lymphödem, also eine chronische Stauung der Lymphflüssigkeit, kann das Krankheitsbild zusätzlich komplizieren. Es ist daher entscheidend, dieses frühzeitig zu diagnostizieren und in den Behandlungsplan zu integrieren, da ein unbehandeltes Lymphödem den Heilungsprozess erheblich behindern kann. Typische Anzeichen für ein Lymphödem sind unter anderem Schwellungen, die vor allem an den Beinen auftreten, sowie eine Veränderung der Hautstruktur.
Fazit für die Praxis
Die neue Leitlinie betont die Wichtigkeit einer präzisen Diagnose und einer umfassenden Behandlung des Ulcus cruris venosum. Die Einführung der CEAP-Klassifikation bietet einen strukturierten Ansatz zur Einordnung des Krankheitsbildes, der sowohl im klinischen Alltag als auch für die Langzeitbehandlung von Patient*innen entscheidend ist. Besonders hervorzuheben ist die Notwendigkeit, nicht nur die medizinischen Aspekte zu betrachten, sondern auch die psychosozialen Belastungen, die durch Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und den sozialen Rückzug der Betroffenen entstehen.
Für das Behandlungsteam ist es essenziell, die neuen Richtlinien zu beachten, um eine optimale Versorgung sicherzustellen. Die frühzeitige Erkennung von Komplikationen wie einem Lymphödem sowie die konsequente Anwendung der CEAP-Klassifikation werden dabei helfen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Weiterführende Diagnostik beim Ulcus cruris venosum (UCV)
Bei Verdacht auf eine systemische Wundinfektion empfiehlt die Leitlinie einen strukturierten Ansatz zur Diagnostik und Behandlung. Ein wichtiger Schritt dabei ist die bakteriologische Untersuchung der Wunde, um den genauen Erreger zu identifizieren. Dies erfolgt mithilfe eines Abstrichs nach der Levine-Technik, bei der die Wunde zunächst gereinigt wird, bevor der Abstrich unter leichtem Druck durchgeführt wird. Diese Methode stellt sicher, dass nur relevante Erreger erfasst werden und nicht bloß oberflächliche Keime, die die Infektion nicht verursachen.
Sollte eine systemische Infektion vorliegen, wird die Gabe von Antibiotika basierend auf der bakteriellen Analyse empfohlen, um die Behandlung zu unterstützen. Die Wahl der Antibiotika erfolgt gemäß den klinischen Befunden und dem lokal vorliegenden Erregerspektrum.
Zusätzlich zur Infektionsdiagnostik ist die Ermittlung des Knöchel-Arm-Druck-Index (ABI) ein wesentlicher Bestandteil der erweiterten Diagnostik. Hierbei wird mithilfe eines Taschendopplers der Blutfluss in den unteren Extremitäten gemessen. Dies hilft, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) auszuschließen, die den Heilungsprozess eines UCV erheblich beeinträchtigen könnte.
Eine weitere wichtige Untersuchung ist das Tasten der Fußpulse, um die Durchblutung der Extremitäten zu prüfen. Eine reduzierte oder fehlende Pulsation könnte auf eine gestörte Blutversorgung hinweisen, was zusätzliche therapeutische Maßnahmen erforderlich machen würde.
Kaposi-Stemmer-Zeichen ist ein diagnostischer Test, der auf die Möglichkeit eines Lymphödems hinweist. Ein positives Ergebnis deutet auf eine Schwellung des Gewebes hin, was bei der Behandlung des UCV von Bedeutung sein kann, da ein Lymphödem den Heilungsprozess zusätzlich erschwert.
Hautveränderungen, wie Atrophie blanche und Purpura jaune d’ocre, sind typische Erscheinungsbilder bei Menschen mit chronischen venösen Erkrankungen und stellen Zeichen einer gestörten Hautdurchblutung dar. Diese Hautveränderungen sollten bei der Diagnosestellung des UCV mitberücksichtigt werden.
Diagnostische Herausforderung
Trotz optimaler Versorgung können einige Patient*innen mit UCV keine Heilungstendenzen zeigen. In solchen Fällen sollte das Behandlungsteam über die Leitlinien hinausgehen und zusätzliche diagnostische Untersuchungen in Betracht ziehen. Es ist sinnvoll, hierbei weitere Fachdisziplinen wie die Angiologie, Gefäßmedizin und Dermatologie einzubeziehen, um andere Ursachen oder Komplikationen auszuschließen. Eine Gewebeprobe
könnte ebenfalls durchgeführt werden, um seltenere, systemische oder neoplastische Ursachen der Wunde zu identifizieren.
Bei untypischen Verläufen des UCV, ungewöhnlichen Wundlokalisationen oder morphologischen Abweichungen von bekannten UCV-Mustern wird eine erweiterte Diagnostik empfohlen, um seltenere Ursachen abzuklären und eine gezieltere Therapie zu ermöglichen.
Diese ausführliche Zusammenfassung gibt einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Aspekte der neuen Leitlinie zum Ulcus cruris venosum und stellt sicher, dass alle relevanten Informationen in der täglichen Arbeit berücksichtigt werden.
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Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie e.V.: S2K-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum, 4.1, 2024, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/037-009, letzter Abruf: 08.10.2024.
Lurie F. Passmann, M. Meisner, M. Dalsing, M. Masuda, E. Welche et al.: The 2020 update oft he CEAP classification system and reporting standards. J Vasc Surg Venous Lymphat Discord 2020; 8 (3): 342 – 352. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32113854/, letzter Abruf: 08.10.2024.
Protz, K. (2024). Praxisaspekte der AWMF S2K Leitlinie, Teil 1. Wundmanagement, (5), 257. mhp Medien.